Weckzeit 5 Uhr: die Breslauer Hütte schlief noch, wir waren zuerst auf. Laut Wetterbericht würde es heute nur ein kleines Zeitfenster mit Sicht geben, gegen Mittag mussten wir den Abstieg wieder starten, egal, wie weit wir kommen würden.

Aber ... der Blick aus dem Fenster verhieß nichts Gutes.

Dicke Wolken, kaum Sicht. Wir konnten nur an den Wetterbericht glauben ... und starten.
Wir packten unsere Dinge, um 6 war Startzeit: für die Berliner war es der dritte Versuch, unser erster zur Wildspitze.
Doch ... schon als wir vor der Breslauer Hütte auf die komplette Mannschaft warteten, rissen die Wolken immer wieder auf.
Links die Winterhütte, vor uns Italien - die Wildspitze genau auf der entgegengesetzten Richtung, jetzt hinter uns.
Wenige Minuten nach 6 startete unsere Mannschaft, der Weg führt links neben der Breslauer Hütte vorbei direkt ins Tal zum geröllbedeckten Mittelkarferner.
Die Berliner Mannschaft machte anfangs ganz schön Tempo ... ich hatte Sorge, eventuell so schnell nicht folgen zu können; doch die ersten mußten die Spur trampeln, was sehr viel Kraft kostete ...
Der Blick zurück in Richtung Italien, Breslauer Hütte: der Nebel verzog sich immer weiter, nun hofften wir umso mehr auf die angesagte Wetterlage.
Der Blick auf den Mittelkarferner mit seinem zugefroreren Gletschersee: am Ende des Tales mußten wir in das Mittelkarjoch aufsteigen.
Noch immer lag das gesamte Tal im tiefen Nebel, man konnte weder Joch, Tal, See noch Gletscher ausmachen ... sollte diese Tour erfolgreich werden?
Nahe am Joch ... kurz vor 7 Uhr passierte es ... die Wolken rissen auf, ein erster Blick auf die Bergkette wurde frei ... das war irgendwie atemberaubend: jetzt war der Weg erkennbar, wir schöpften Vertrauen, wir würden es schaffen ... heute!
Rund um das Mittelkarjoch konnte man jede Menge Lawinenabgänge der letzten Tage sehen ... es war noch alles tief gefroren, wir hofften, wir würden jetzt um die Zeit noch gut in das Joch einsteigen können.
Die Sonne stieg über dem Mittelkarjoch auf: blauer Himmel, beste Sicht: wie beflügelt bahnten wir uns den Weg durch den Tiefschnee.
Steigeisen und Stulpen anlegen: kurz vor den steilen Strecken zum Joch war hier unten der letzte gute Platz zum Ausrüsten.
In den letzten Metern der Rinne des Joches gibt es zwei Möglichkeiten, die Rinne ... oder links davon ein Klettersteig. Wir wählten die Eisenroute, die mit Statikseilen und einigen Fixpunkten ausgebaut war.

Kleiner Nachteil: der Klettersteig war total vereist und mit Schnee überschüttet: teilweise war das Seil total unter dem Schnee verschwunden.
Aber der Blick zurück entlohnte mehr als genug: laut Wetterbericht sollte die Wolken im Tal verbleiben, und genauso war es: wir waren über den Wolken unterwegs.

Ich war zufrieden, die Entscheidung, aufzusteigen ... war bis jetzt richtig: die Tour war einfach nur wunderschön!
Oben am Mittelkarjoch angekommen machten wir die erste kurze Rast.
Nordwärts querten wir nach der Pause einen Gletscher: noch sahen wir den Gipfel der Wildspitze nicht, aber wir waren gut in der Zeit und fühlten uns wohl ...
Nach dem liegenden Gletscher steigt man steil auf, in den GoogleEarth-Karten sieht man hier große Gletscherspalten: jetzt war alles schneebedeckt, wir konnten problemlos aufsteigen.
Der Weg zum Mittelkarjoch zurück über den Gletscher: unsere Spur war das einzige Lebenszeichen menschlichen Ursprungs hier in den Bergen.
Und von hier sah man zum ersten Mal auch die Wildspitze, Tirols höchster Berg: sogar das Gipfelkreuz war schon erkennbar.
Die Spur zurück: bei bestem Wetter stiegen wir auf die Westflanke zum Südgipfel der Wildspitze auf.
Eine Gruppe hinter uns bog zum Nordgipfel ab und wollte wohl den höheren Südgipfel über den dazwischenliegenden Verbindungsgrat erreichen.
Kurz vor dem Gipfel wurden die Seile abgelegt, die letzten Meter über den felsigen Aufstieg ging es ohne Rucksack und Eisaxt weiter.
3.768 Höhenmeter.

Ich stehe auf dem Gipfelkreuz der Wildspitze, dem höchsten Berg Tirols, dem zweithöchsten Österreichs.
Trotz des wirklich nur kleinen Wetterfensters stand unser kleines Team erfolgreich hier am Gipfel, die Hälfte der Strecke war geschafft!
Jetzt war nur Aussicht geniessen angesagt: hier der wächtenübersähte Grat zum tiefergelegenen Nordgipfel der Wildspitze.

Der Wetterbericht YR hatte leider absolut recht, aus Richtung Italien kamen dicke Wolken, aber schon der Temperatur und des Windes wegen war an keinem langen Aufenthalt auf dem Gipfel zu denken.
Wir starteten den zweiten Tourabschnitt, den Abstieg.
Geseilt liefen wir über die Gletscherstrecken zurück.

Ich war überaus glücklich: wir hatten wunderbares Wetter mit grandioser Sicht.

So geht man bergsteigen:).
Über den nordwärts gelegenen Gletscher liefen wir in Richtung des klar erkennbaren Mittelkarjochs zurück.
Am 3470m hohen Mittelkarjoch machten wir eine wirklich kurze Pause, ehe wir den Klettersteig neben der steilen Rinne abstiegen: die Rinne schien uns schon wegen der bereits zahlreichen Lawinenabgänge nicht wirklich zum Abstieg geeignet.
Und so war es auch: der Rückweg mußte neu gesucht werden, unsere Fußstapfen vom Aufstieg waren durch mehrere Lawinen komplett verdeckt.

Im Tal wohl so ziemlich am Ende des Mittelkarferners machten wir Rast: Kräfte sammeln, wir wollten ja bis zum Startpunkt des Vortages, bis zu unserem Auto hin absteigen, nach dem auf knapp 2000m gelegenen Rofenhöfen. Es gab eine warme Mahlzeit aus unserem guten Gaskocher MSR Reactor.
Gestärkt liefen wir weiter zur Breslauer Hütte. Und gleich nach dem Eis ... fanden wir die erste "Pionierblume".
Die Wildspitze war zwischenzeitlich total mit Wolken zugezogen, wir waren recht froh, wieder hier unten im Tal zurück zu sein.
Fotopause am Ende des Mittelkarferners: manno, hatten wir mit dem Wetter Glück!

Ja, wir hatten unsere Notausrüstung dabei, genau hier im Tal waren unlängst einige Deutsche umgekommen: man sollte die Ruhe nicht falsch einschätzen. Gut, dass wir heute ohne Schwierigkeiten die Tour laufen konnten.
Wir waren kurz vor der Breslauer Hütte zurück: nur noch gut 1000 Höhenmeter bis zum Auto absteigen, dachten wir;).
Aber wirklich nur eine 5-Minuten-Pause an der riesigen Hütte auf 2844 Höhenmetern: wir starteten den Abstieg alleine, die Berliner Freunde hatten ihr Auto in Vent geparkt.
Recht schnell verloren wir die Hütte aus den Augen, der Weg verläuft hier recht steil.
Wir liefen das eingeschnittene Tal zu den Rofenhöfen hin.
Der Weg abwärts war deutlich angenehmer als der aufwärts: wir hatten dieses Mal keinen Regen.
Und wir kamen sehr gut voran: nach etwas mehr als einer Stunde trafen wir auf Blumen ... und fast schon auf unser Auto.
Heute abend wird es wohl ein schnelles Essen geben:).
Wir waren unten: in einer spitzen Zeit erreichten wir die Rofenhöfe: doch, wir waren knülle: die fast 2000 Höhenmeter gingen ziemlich auf die Knie. Und wir waren stolz, die Strecke ... so ... gut bewältigt zu haben.

Wir hatten unseren Plan geschafft: die Wildspitze, Aufstieg mit Übernachtung in der Breslauer Hütte, Abstieg am Stück komplett.

Ein dickes Danke auch an das Berliner Team, das so fleißig vor uns die Spur getrampelt hat: wir waren eine prima Seilschaft:)!

Wir fuhren mit dem Auto nach Längenfeld und checkten dort auf dem Campingplatz Camping Ötztal ein.
Am Sonntag stiegen wir zur Wildspitze - dem höchsten Berg Tirols - auf.

Am gleichen Tag wanderten wir zurück zum Auto bei den Rofenhöfen.

zum 1. Tag: Anreise und Aufstieg zur Breslauer Hütte
zum 3. Tag: zurück nach Deutschland

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